Der Nachfolger der ISS wird eine private Raumstation sein
Im Rahmen des CLD-Projekts (Commercial Low Earth Orbit Destinations) bereitet die NASA die Entwicklung eines privat betriebenen Nachfolgers für die Internationale Raumstation vor, die voraussichtlich nur noch bis Ende dieses Jahrzehnts die Erde umkreisen wird. Etwa ein Dutzend Unternehmen haben ihre Vorschläge bei der Raumfahrtbehörde eingereicht; mit einer Vorauswahl wird noch in diesem Jahr gerechnet. Zwei bis vier Kandidaten werden dann in die nächste Runde vorrücken.
Die NASA selbst hat die Namen der beteiligten Firmen bislang nicht veröffentlicht, aber immer mehr verkünden von sich aus ihre Pläne. In diesem Monat haben sich nun Nanoracks und Blue Origin aus der Deckung gewagt.
Nanoracks plant in Zusammenarbeit mit Lockheed Martin den Bau einer kleinen Raumstation, die über weniger als die Hälfte des ISS-Volumens verfügen und maximal vier Astronauten Platz bieten wird. Die Station soll frühestens 2027 einsatzbereit sein und macht sich die in den Neunzigerjahren von der NASA entwickelte und zwischenzeitlich von Bigelow Aerospace weiterverfolgte TransHab-Technologie zunutze (aufblasbare Module).
Entwurf für die private Raumstation von Nanoracks (Bild: Nanoracks) |
Deutlich ambitionierter kommt der Entwurf von Blue Origin daher. Ihre "Orbital Reef" getaufte Station wird nach aktuellem Stand 90% des ISS-Innenvolumens bieten und kann bis zu zehn Astronauten beherbergen. Doch seit den offensichtlich gewordenen massiven Problemen und Verzögerungen bei der Entwicklung des BE4-Triebwerks und der New Glenn-Trägerrakete sind solche vollmundigen Ankündigungen sicher mit Vorsicht zu genießen. Insbesondere, da Blue Origin bei seinem Raumstationsprojekt vor allem auf Boeing setzen wird – ein Unternehmen, dessen Ruf in den letzten Jahren durch die Probleme mit der Crewkapsel Starliner oder mit der Passagiermaschine 737 Max Schaden genommen hat. Boeing soll sich sowohl um den Transport von Astronauten kümmern (mit besagter Starliner-Kapsel), als auch Raumstationsmodule beisteuern und sich um den fortlaufenden Betrieb der Station kümmern. Ein weiterer wichtiger Partner ist Sierra Space (gehört zur Sierra Nevada Corporation) mit seinem Dreamchaser-Shuttle, das ebenfalls Astronauten und auch Fracht transportieren soll. Dreamchaser, bereits seit über einem Jahrzehnt in Entwicklung, soll auch für Frachtflüge zur ISS genutzt werden. Sierra Space hat dafür einen entsprechenden Auftrag der NASA und soll nach derzeitigem Stand zum ersten Mal 2022 ins All starten.
Mögliches Design der Orbital Reef-Station (Bild: Blue Origin) |
Ob SpaceX sich ebenfalls an der CLD-Ausschreibung beteiligt, ist offen. Das Unternehmen selbst hat sich dazu bislang nicht geäußert. Doch Starship hätte sicher auch in dieser Hinsicht Potential.
Inspiration 4
Mitte September führte SpaceX die privat finanzierte Inspiration 4-Mission durch; mit einer Crew, die erstmals in der Raumfahrtgeschichte komplett aus Privatpersonen bestand. Der Milliardär Jared Isaacman hatte das gesamte Projekt initiiert und finanziert und flog natürlich auch selber mit. Sicher ging es ihm vor allem um die eigene Erfahrung eines Flugs in die Erdumlaufbahn, aber er verknüpfte das Ganze mit einer Spenden-Sammelaktion für das Kinderkrankenhaus St. Jude und verhalf der Einrichtung so zu über 200 Millionen Dollar (davon 125 Millionen von Isaacman und 50 Millionen von Elon Musk gespendet). Mit ihm an Bord waren Hayley Arceneaux, Chris Sembroski und Dr. Sian Proctor, die sich alle für die Mission beworben hatten und quasi als Symbolfiguren für die zentralen Werte der Mission ausgewählt wurden ("Hoffnung", "Großzügigkeit" und "Wohlstand").
Die Mission dauerte knapp drei Tage. Die Dragon-Kapsel erreichte auf diesem Flug ihren bislang höchsten Orbit von maximal 585 Kilometern; das ist deutlich höher als etwa die Flugbahn der ISS. Dragon wurde eigens für Inspiration 4 mit einer neuen Aussichtskuppel ausgerüstet, die der Crew einen fantastischen Blick auf die Erde bot.
William Shatner alias Captain Kirk fliegt ins All
Deutlich weniger spektakulär war dagegen der jüngste Flug der New Shepard-Rakete von Blue Origin. Auf ihrem zweiten Touristenflug war diesmal auch Star Trek-Legende William Shatner mit an Bord. Es handelt sich dabei um suborbitale "Hopser"; die maximale Flughöhe beträgt ca. 100 Kilometer und ein Flug dauert nur wenige Minuten – einmal rauf, und gleich wieder runter. New Shepard ist nicht ansatzweise für orbitale Flüge geeignet, das soll erst mit dem Nachfolger New Glenn möglich sein. Dennoch: Der 90-jährige Shatner war nach der Landung offensichtlich sehr bewegt und beeindruckt. Die Champagnerdusche durch Blue Origin-Chef Bezos störte da nur.
Starship-Update
In den letzten zwei Monaten hat sich auf dem Starbase genannten SpaceX-Gelände in Boca Chica, Texas, wieder Einiges getan. Vor allem am Startturm: Dort wurde ein so genannter quick disconnect arm installiert (also ein Schwenkarm mit Anschlüssen zur Versorgung der Rakete mit Treibstoff, Elektrizität etc.), sowie die scherzhaft "chopsticks" (Essstäbchen) genannten Greifarme, mit denen einmal der Booster und Starship im Landeanflug aufgefangen werden sollen (um so das Gewicht der Landebeine einzusparen).
Die Arbeiten am Treibstoffdepot, das sich direkt neben der Startrampe befindet, sind mittlerweile fast abgeschlossen. Ein System zur Sound-Unterdrückung beim Start scheint aber weiterhin nicht zu existieren. Möglicherweise wird ein solches in den Starttisch integriert, doch das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch Spekulation, zumal Musk in der Vergangenheit Zweifel geäußert hat, das man so etwas überhaupt benötigen würde.
Abseits der Startrampe, auf dem ein paar Kilometer davon entfernt gelegenen Produktionsgelände (build site) gehen die im August begonnenen Arbeiten an einem neuen großen Hangar (high bay) voran. Und natürlich sind bereits mehrere neue Booster und Starships in Bau. Ship 21 und Booster 5 dürften noch in diesem Jahr fertig gestellt werden.
Der S20-Prototyp hat derweil seine ersten Testzündungen am Boden absolviert, diese waren anscheinend erfolgreich, auch wenn dabei durch die Vibrationen einige Kacheln des Hitzeschilds losgeschüttelt wurden. Vermutlich könnte Starship dank seiner Stahlbauweise den Wiedereintritt in die Atmosphäre aber auch mit ein paar fehlenden Kacheln überstehen. Versuch macht klug: laut Musk könnte der erste orbitale Testflug noch im November stattfinden; allerdings braucht es dazu immer noch die Freigabe der Regulierungsbehörde FAA. Erst kürzlich (19. und 21. Oktober) gab es dazu zwei öffentliche Anhörungen, bei denen Befürworter und Gegner des Projekts ihre Standpunkte vortragen konnten. Die Mehrheit der knapp 60 Wortmeldungen war dabei pro SpaceX. Dennoch steht eine offizielle Bewertung durch die FAA weiterhin aus.
SpaceX hat ein Video veröffentlicht, das eindrucksvoll die Fortschritte des Starship-Projekts zeigt:
SLS erstmals vollständig zusammengesetzt
Die um Jahre verspätete Riesenrakete der NASA ist im Oktober erstmals vollständig im Vehicle Assembly Building zusammengesetzt worden. Dieser riesige Hangar wurde schon für die Saturn V und das Space Shuttle genutzt. Ob die bislang für das Projekt ausgegebenen 30 Milliarden Dollar eine sinnvolle Investition waren, kann man natürlich bezweifeln, vor allem wenn eine viel günstigere und zudem leistungsfähigere Alternative in Form von Starship existiert. Rein optisch ist SLS aber doch beeindruckend. Nachdem jahrzehntelang über Shuttle-basierte Schwerlastträger diskutiert wurde und diese immer wieder in diversen Studien untersucht wurden (Shuttle-C, Magnum, Ares V, Jupiter etc.) ist nun endlich mal eine davon Wirklichkeit geworden. Wahrscheinlich viel zu spät, um noch nützlich zu sein, aber immerhin. Sehr bedenklich nur, dass weiterhin zumindest Teile der NASA diese Rakete wohl am liebsten für die nächsten Jahrzehnte zum Kernstück des bemannten Raumfahrtprogramms machen wollen und dabei so tun, als gebe es Starship nicht.
SLS mit der Orion-Kapsel und dem europäischen Servicemodul an der Spitze (Bilder: NASA) |
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